Warum ergreifen meine Alpakas die Flucht, wenn ich sie streicheln möchte?
von Marty McGee Bennett
übersetzt von Sibylle Klasing-Mann

Quelle (Sterntal-Alpakas)

Hier die knappe Antwort: Alpakas flüchten vor Dingen, vor denen sie sich fürchten. Sie füttern sie, kümmern sich um sie und sind ganz verrückt nach ihnen. Weshalb beharren Ihre Alpakas dann darauf, dass Sie in die Kategorie der angsteinflößenden Dinge gehören? Diese Frage ist wohl etwas schwieriger zu beantworten.

Die meisten Alpakas werden in die Ecke gedrängt und um den Hals gepackt. Diese Fangmethode geht schnell, ist in der Alpaka-Szene anerkannt und beliebt – und vor allen Dingen sehr verführerisch. Schließlich steht der Hals wie ein Griff hervor, in Gottes Namen, und schreit den Alpakabesitzer förmlich an: „NIMM MICH UND FANG DAMIT DEN REST DES KÖRPERS EIN! BITTE!“

 

 

 

Diese Methode, meine Tiere in die Ecke zu treiben und den Hals zu packen, habe ich selbst lange Zeit angewandt. Aber das war zu Beginn meiner Kamelidenkarriere, die jetzt seit immerhin 22 Jahren andauert! Als meine ersten Lamas bei mir ankamen, plusterte sich mein Kamelidenberater auf, um mir die Fakten des Lebens mit diesen Tieren zu erklären. „Also, kleines Fräulein, Lamas können es nicht leiden, wenn man sie am Kopf anfasst. Diese Tiere kommen nie freiwillig in Ihre Nähe. Wenn Sie sie einfangen wollen, dann wedeln Sie mit Ihren Armen, drängen sie in eine Ecke und schneiden ihnen den Weg ab. Passen Sie bloß auf, dass sie sich nicht an Ihnen vorbeiquetschen. Sie müssen Ihnen zeigen, wer der Boss ist. Dann schnappen Sie sich ihren Hals und lassen ihn auf gar keinen Fall wieder los!“

 

So also fing man Kameliden ein und nur so! Ich habe diese Methode dann ungefähr fünf Jahre lang mehr oder weniger erfolgreich angewandt (ein paar wilde Trips um die Weide, während ich mich unter Einsatz meines Lebens festklammerte, und ein paar ganz zwanglose Landungen auf dem Misthaufen eingeschlossen). Bis ich die bemerkenswerte Pferdetrainerin Linda Tellington-Jones traf, die die TTEAM und TTouch Methoden entwickelt hat. Ich nahm an einem von Lindas Seminaren teil, um zu lernen, wie ich meinen riesigen und verrückten Vollbluthengst trainieren könnte, den ich – logischerweise – nicht am Hals packte! Meine Lamas waren eigentlich nur ein Vorwand, um Linda auf meine Farm zu locken. Damals waren Lamas sehr ungewöhnlich und eines Privatbesuchs einer der besten Tiertrainerinnen der Welt durchaus würdig. Mein Pferd allein hätte das nie geschafft. Ironischerweise hatte ich keinerlei Erwartung an Lindas Arbeit mit meinen Lamas. Sie war eine Pferdetrainerin und ich wusste alles, was man über den Umgang mit Lamas wissen musste. Was Linda dann mit meinen Tieren tat, war ganz einfach. Sie massierte ihnen Kopf und Maul und - ich konnte es kaum fassen - sie mochten es! Mein wildestes Lama schloss die Augen und schlief fast ein, als Linda sanft mit seinen Lippen und seinem Zahnfleisch arbeitete. „Das kann doch nicht wahr sein“, schnaufte ich, „diese Tiere können es nicht ausstehen, wenn man sie am Kopf berührt. Und am Maul kann man sie schon gar nicht anfassen!“

 

Linda und ich sprachen damals nicht darüber, wie ich meine Lamas einfing, aber ich fing an zu begreifen, dass ich diejenige war, die die Beziehung zwischen mir und meinen Tieren so einschränkte. Natürlich kamen meine Lamas nicht zu mir, denn ich drängte sie jedes Mal in die Ecke und packte sie. Jedes halbwegs intelligente Lama würde sich von meinen Armen fern halten. Es dämmerte mir, dass das Verhalten meiner Lamas nur ein Spiegel meines Verhaltens war und kein Naturgesetz.

 

Noch am gleichen Tag fing ich an, die Methode von Linda Tellington-Jones zu erlernen, und mein Leben veränderte sich grundlegend. Ich klebte wie eine Klette an Linda und ein paar Jahre später schrieb ich zusammen mit ihr mein erstes Buch über Kameliden-Training. Die Art und Weise, wie man ein Alpaka einfängt, ist der Schlüssel zu seinem Herzen. Lernen Sie, sich ihm anzunähern und es auf eine Weise zu berühren, die es mag, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.

 

Ein Catch-Pen * ist ein absolutes Muss. Ihr Catch-Pen sollte gut zu erreichen sein, sicher, stabil und höchstens 3 x 3 m groß. Am besten geeignet ist eine quadratische Form. Ich habe viele Artikel über Stall-Design und Treib-Strategien geschrieben, in denen ich darauf genauer einging. Jetzt werde ich über Mensch und Alpaka in einem bereits vorhandenen Catch-Pen schreiben.

 

Menschen und Vierbeiner werden durch Übung geschickter. Was üben Ihre Alpakas, wenn Sie sie in eine Ecke drängen? Sie üben, von Ihnen wegzurennen, und sonst gar nichts! Und daran wird sich so lange nichts ändern, wie Sie Ihr eigenes Verhalten – den Auslöser für das Verhalten Ihrer Tiere - aufrechterhalten. Man muss also eine Möglichkeit finden, ein Alpaka einzufangen, ohne seinen Fluchtinstinkt auszulösen. Es soll stehen bleiben, wenn man sich nähert. Probieren Sie die im folgenden beschriebene einfache Fangmethode an Ihren Alpakas aus und prüfen Sie, ob Sie nicht schon nach wenigen Tagen einen Unterschied feststellen können.

 

Befestigen Sie ein leichtes, etwa 3 m langes Seil an einem leichten, etwa 1,20 m langen Holzstab oder einer Gerte. ** Dazu können Sie ein Gummiband verwenden. Gehen Sie in den Catch-Pen und tun Sie Ihr Möglichstes, hinter dem Auge des Alpakas zu bleiben und in der Mitte des Pens. Wenn sich Ihr Alpaka bewegt, bewegen Sie sich mit ihm, sodass Sie immer Ihre Position in der Mitte des Pens und hinter seinem Auge beibehalten. Halten Sie mit der linken Hand das Seil fest und führen Sie mit der rechten Hand den Stab mit dem anderen Seilende von hinten über den Kopf des Alpakas. Bringen Sie dann das Ende des Seils, das am Stab befestigt ist, in Ihre Hand. Denken Sie daran, auch weiterhin hinter dem Auge und in der Mitte des Pens zu bleiben. Lösen Sie den Stab vom Seil und legen Sie ihn weg. Wenn Sie diese Technik besser beherrschen, sollten Sie das Seil über den Kopf des Alpakas legen können, ohne eine Bewegung zu provozieren.

 

Als Nächstes verwenden Sie das Seil, um das Alpaka in der Balance zu halten, während Sie sich nähern. Ich habe Berge von Papier verbraucht, um über Balance zu schreiben und wie man sie einsetzt, um dem Tier ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Aber das Wichtigste ist, mit Hilfe des Seils das Gewicht des Tieres gleichmäßig auf beide Vorderbeine zu verteilen. Sehen Sie sich die Füße an und verwenden Sie das Seil, um das Gewicht auf das Bein zu verlagern, das nicht seinen Anteil trägt (normalerweise das Bein, das Ihnen am nächsten ist). Achten Sie auf die Füße! Die Füße des Tieres sagen Ihnen, wo das Gewicht ist. Geben Sie mit dem Seil schnell aufeinander folgende „Annehmen-und-Nachgeben-Signale“ und denken Sie daran, den Zug vom Seil zu nehmen, sobald sich das Gewicht verlagert hat. Sie müssen Ihr Alpaka wahrscheinlich des Öfteren daran erinnern, sein Gleichgewicht gleichmäßig zu verteilen, wenn Sie auf es zulaufen. Widerstehen Sie dem Drang, das Alpaka mit dem Seil festzuhalten. Das Seil ist nur für das Gleichgewicht zuständig. Es ist nicht einfach ein Ersatz für Ihren Arm um den Hals.

 

Wenn Sie Ihr Alpaka auf diese Weise etwa ein Dutzend Mal hintereinander eingefangen haben, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass Sie auf Ihr Alpaka zulaufen, sich selbst das Seil anreichen und dann einfach weitermachen können. Wenn Ihren Alpakas aufgeht, dass Sie nicht länger nach ihrem Hals greifen, werden sie sich entspannen und Sie in Ihrer Nähe dulden.

 

Besuchen Sie meine Webseite www.camelidynamics.com , wenn Sie sich für weitere Informationen zu dieser Technik oder anderen Techniken, die die Beziehung zu Ihren Tieren verbessern, interessieren. Oder lesen Sie mein Buch „The Camelid Companion“, das auch bald in deutscher Sprache erscheinen wird.

 

* Catch-Pen: Eine Art Fanggehege, in dem ich sämtliche Arbeiten mit Alpakas und Lamas erledige.

 

** Ich verwende für meine Methode eine spezielle Ausrüstung (Gerte mit Clip und Trainings- oder Fangseil), aber Sie können auch mit diesen einfachen Hilfsmitteln experimentieren.